Menschen auf der Flucht
Derzeit befinden sich ungefähr 70 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Die Hälfte von ihnen sind Kinder. Noch nie waren diese Zahlen so hoch.
Menschen flüchten aus den verschiedensten Gründen: Zum Beispiel, weil sie in ihrem Heimatland verfolgt werden, weil sie diskriminiert werden, weil es Kriege oder Armut gibt oder sie dort keine Perspektive haben. Im Jahr 2020 stammen die meisten Flüchtlinge aus den Ländern Syrien, Afghanistan, Myanmar und Somalia oder dem Südsudan. Ein Großteil von ihnen, nämlich über 80 Prozent, ist innerhalb eines Landes oder in den Nachbarstaat seines Heimatlandes geflüchtet.
Der Weg nach Europa
Es gibt für Flüchtlinge, die aus einem Land außerhalb Europas kommen, bis auf wenige Ausnahmen keinen legalen Weg nach Europa. Da Europa seine Außengrenzen militärisch bewacht, kommt nur ein sehr kleiner Teil der Geflüchteten weltweit – nämlich unter drei Prozent – überhaupt hier an. Häufig müssen Geflüchtete viel Geld an Menschen bezahlen, die die Flucht für sie organisieren. Das bedeutet aber auch, dass sie während der Flucht vollkommen von diesen Menschen abhängig sind. Für Frauen ist die Flucht besonders gefährlich, da sie häufig Opfer von sexualisierter Gewalt werden. Auch Kinder sind sehr gefährdet, da sie noch abhängiger von anderen sind als Erwachsene und sich gegen Gewalt, zum Beispiel von Grenzsoldat*innen, viel schlechter wehren können.
Ankommen in Europa – Die Dublin-III-Verordnung
Einen Asylantrag können Flüchtlinge erst dann stellen, wenn sie europäischen Boden betreten. Einmal in Europa angekommen, greift die sogenannte Dublin-III-Verordnung. Sie besagt, dass immer der europäische Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, den die Flüchtlinge zuerst betreten haben. Geographisch können das eigentlich nur die EU-Außenstaaten sein, so wie Griechenland, Spanien oder Italien. Deutschland kann niemals als erstes Land in Europa betreten werden, weil es im Zentrum Europas liegt. Höchstens bei einer Einreise mit dem Flugzeug – doch dafür braucht man einen Pass und ein Visum, das Geflüchtete in der Regel nicht erhalten.
Die Lebensverhältnisse in den EU-Randstaaten wie Italien, Griechenland, Ungarn oder Bulgarien sind für Geflüchtete sehr schlecht. Häufig sind sie dort obdachlos oder sie werden inhaftiert, misshandelt und dürfen nicht zur Schule gehen oder arbeiten. Deshalb versuchen viele Geflüchtete, ungesehen und unregistriert durch die Außenstaaten durchzureisen und erst in Ländern wie Österreich, Deutschland, den Niederlanden oder Schweden einen Asylantrag zu stellen. Oder sie probieren, weiterzureisen, obwohl sie schon in einem EU-Randstaat registriert wurden. Das ist sehr schwierig, da Geflüchtete häufig auf Inseln wie Lampedusa in Italien oder der griechischen Insel Lesbos festgehalten werden und nicht aufs Festland dürfen. Dort leben sie unter sehr schweren Bedingungen: in nicht winterfesten Zelten, häufig ohne fließend Wasser, ohne Bildung, ohne Arbeit und über Jahre in Hoffnungslosigkeit.
Asylverfahren in Deutschland
Wenn es Geflüchteten doch gelingt, bis nach Deutschland oder Frankreich zu gelangen und einen Asylantrag zu stellen, wird der Asylantrag dort als unzulässig abgelehnt. Denn ein anderer EU-Mitgliedstaat wie Italien oder Griechenland, nämlich das Land, wo die Erstregistrierung stattgefunden hat, ist nach der Dublin-III-Verordnung dafür zuständig.
Wenn Geflüchtete einen Asylantrag gestellt haben, werden sie in Deutschland nach einem bestimmten Schlüssel einem Bundesland zugewiesen. Für die Geflüchteten ist dies wie ein Glücksspiel. Je nachdem, in welchem Bundesland sie untergebracht sind, müssen sie jahrelang in Asylbewerber*innenunterkünften leben oder dürfen sich eine Wohnung suchen. Davon hängt auch ab, ob sie Deutschkurse besuchen können, eine Ausbildung beginnen dürfen oder nicht. Sogar ob Abschiebungen, zum Beispiel nach Afghanistan oder in den Irak, stattfinden, ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. Nur in ganz seltenen Fällen wird Menschen im Asylverfahren erlaubt, selbst zu entscheiden, in welchem Bundesland sie leben möchten.
Auf eine Entscheidung warten
Haben Geflüchtete einen Asylantrag gestellt, werden sie nach ein paar Tagen in einer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu den Gründen für ihre Flucht befragt. Diese Anhörung dauert meist mehrere Stunden und ist für die Geflüchteten oft sehr anstrengend. Denn sie müssen darin alles, was sie erlebt haben – dazu gehören häufig auch Gewalt, Folter, sexualisierte Gewalt, Diskriminierung oder Verfolgung – detailliert beschreiben und belegen oder glaubhaft machen.
Nach dieser Anhörung beginnt ein monate- oder auch jahrelanges Warten auf die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Dort werden drei Kategorien geprüft: Bestehen Voraussetzungen für die Gewährung eines Flüchtlingsschutzes (bei individueller Verfolgung durch den Staat), eines subsidiären Schutzes (zum Beispiel bei Bürgerkriegen) oder eines Abschiebeverbots (unter anderem bei humanitären Gründen)? Je nachdem, welchen Aufenthaltsstatus Geflüchtete erhalten, sind damit unterschiedliche Rechte verknüpft. Der Aufenthaltsstatus entscheidet beispielsweise darüber, ob man Familienangehörige nach Deutschland holen darf oder die Möglichkeit besteht, später einen Daueraufenthalt in Deutschland zu erhalten.
Klagen im Asylverfahren
Wird der Antrag abgelehnt, können Geflüchtete dagegen klagen. Das können sie auch dann machen, wenn sie einen „höheren“ Schutzstatus erreichen wollen. Die Kosten für eine*n Anwält*in müssen sie in der Regel selbst übernehmen. Das ist häufig schwierig, da Geflüchtete nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Das ist weniger als das Arbeitslosengeld II (Hartz IV). Außerdem kann es auch dabei wieder monate- oder sogar jahrelang dauern, bis es zu einer mündlichen Verhandlung beim zuständigen Verwaltungsgericht kommt. Hier muss der*die Geflüchtete noch einmal alle Fluchtgründe detailliert beschreiben. Das ist nach vielen Monaten oder meistens Jahren oft nicht so einfach. Gerade traumatisierte Menschen, die schlimme Dinge erlebt haben, haben diese häufig verdrängt. Ein*e Richter*in entscheidet dann, ob die Erzählung glaubhaft ist und keine Widersprüche aufweist. Sie sprechen dann den Geflüchteten den Schutz zu oder bestätigen die Ablehnung des Asylantrags. Rund ein Drittel der Geflüchteten erhält vor Gericht Recht.
Abschiebung und Duldung
Wenn auch das Gericht den Asylantrag ablehnt, wird die*der Geflüchtete*r aufgefordert, das Land zu verlassen. Geschieht das nicht, besteht die Gefahr einer Abschiebung – also einer erzwungenen Ausreise. Eine Abschiebung ist meist höchst traumatisch. Oft können sich die Menschen nicht von ihren Verwandten und Freund*innen verabschieden, sie haben teilweise schon lange in Deutschland gelebt und auch gearbeitet oder sind zur Schule gegangen.
Ist eine Abschiebung zum Beispiel aus gesundheitlichen, familiären oder organisatorischen Gründen nicht möglich, wird eine „Duldung“ (eine Aussetzung der Abschiebung) erteilt. Mit einer Duldung dürfen Menschen nur sehr eingeschränkt oder gar nicht arbeiten. Sie erhalten zum Teil nur noch sehr wenige finanzielle oder materielle Unterstützung, können Deutschland und häufig nicht mal das Bundesland verlassen. Diese Situation ist für die Menschen ein Zustand voller Hoffnungslosigkeit, viele Geduldete leiden unter Depressionen. Für einige Geduldete gibt es die Möglichkeit, bei guten sogenannten „Integrationsleitungen“ (Sprache, Bildung, Arbeit) ein Bleiberecht zu erhalten. Dieser Weg bleibt aber wegen sehr strenger Vorgaben für viele geduldete Menschen versperrt.
Nora Brezger arbeitet seit 2009 mit geflüchteten Menschen und ist seit 2011 Mitarbeiterin in der Geschäfsstelle des Flüchtlingsrat Berlin.
Die Landeskoordination Berlin organisiert für die Courage-Schulen Workshops zum Thema Flucht und Asyl in Zusammenarbeit mit unseren Kooperationspartnern Flüchtlingsrat und dem Anne Frank Zentrum.
Mehr zu den Themen findet ihr auch in den Handbüchern „Lernziel: Gleichwertigkeit“ für die Grund- und Sekundarstufe.